Raketenhafter Start von Kompolize
Im Rahmen des von psophos und dem Lietzeorchester e. V. initiierten Internationalen Kompositionswettbewerbs Kompolize wurde die Ouvertüre der kritischen Oper Wernher von Braun des Berliner Komponisten Bardo Henning erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Uraufführung durch das Lietzeorchester unter der Leitung von Hanno Bachus fand am 14. Juni 2012 in der Heilandskirche Berlin-Moabit und am 16. Juni 2012 im Konzertsaal der Universität der Künste Berlin (Hardenbergstraße) statt.
Bardo Michael Henning
Der Komponist und Jazzpianist Bardo Michael Henning machte zunächst als Pianist der Gruppe Serene auf sich aufmerksam. Später gründete er das Ensemble Experimenti Berlin, für das er einen Großteil seiner Werke schrieb. Er spielte in vielen weiteren Formationen, etwa mit der Band Hannover Calling oder seinem Trio Bardomaniacs, im Duo mit Albert Mangelsdorff, Günther „Baby“ Sommer oder Selda Bağcan, war Gast bei renommierten Jazzfestivals und beteiligte sich an zahlreichen Rundfunk-, Fernseh- und Schallplattenproduktionen. Daneben erhielt Henning mehrere Kompositionsaufträge. 1993 erklang seine Komposition Wüstencommunication bei den Donaueschinger Musiktagen. Das Bundesministerium für Jugend und Familie schickte 2002 bis 2004 fünf Breakdancer, einen türkischen Chor und das Jugendjazzorchester Berlin mit Hennings Jazzoper Achmeds Traum auf Tournee. Die Verwendung der Nationalhymne der DDR im Dreivierteltakt in seiner Komposition zum Tag der Deutschen Einheit 1998 in Hannover zeitigte einen veritablen Medienskandal.
Hennings Schaffen wurde mit vielen Preisen und Ehrungen bedacht, darunter der 1. Preis der Deutschen Phonoakademie 1982 (für die erste Platte von Serene), der SWF-Jazzpreis 1989 oder der Publikumspreis des Internationalen Theaterfestivals Monastir 2005. 2001 war er Artist in Residence an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Henning verfasste Opern, Lieder, Ballet-, Theater- und Instrumentalmusik. Die Idee zu einem Stück über Wernher von Braun hatte ihn schon seit der Mondlandung 1969 umgetrieben. Bei der Suche nach einem Librettisten stieß er auf Ulrich Woelk, Astrophysiker und mehrfach ausgezeichneter Berliner Schriftsteller.
Ouvertüre zur kritischen Oper Wernher von Braun
Wernher von Braun war nicht nur ein visionärer Ingenieur, er konnte auch überzeugen und begeistern wie kein Zweiter. Als technischer Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde überredete er, dreißigjährig, den zunächst skeptischen Hitler zum Bau der sogenannten „Vergeltungswaffe" V2 und stellte mit dieser Art Raketen einen furchtbaren Rekord auf – weit mehr Menschen noch als bei ihrem Einsatz in England und Belgien kamen bei der Fertigung der V2 ums Leben, Tausende Zwangsarbeiter aus Konzentrationslagern. Nach 1945 wollte das ehemalige NSDAP- und SS-Mitglied endlich einmal „auf der Seite der Sieger stehen" (Zitat von 1952, das sich im Libretto wiederfindet). Er distanzierte sich von den Gräueln und von seiner Verantwortung, ging in die USA, versprach Kennedy, Johnson und überhaupt allen US-Amerikanern, so ein Satellit „würde den Vereinigten Staaten eine ständige militärische Kontrolle der Erde aus dem All gestatten. [...] Die Menschheit würde sich einer pax americana erfreuen und könnte Fernsehempfänger aus ihren Radargeräten machen." (Der Spiegel, 28.12.1955). Später wurden Straßen, Schulen, Universitäten und ein Mondkrater nach ihm benannt, er erhielt Wimpel, Medaillen und 1960 gar das Große Bundesverdienstkreuz.
Die Oper Wernher von Braun (2008) von Bardo Henning (Musik) und Ulrich Woelk (Libretto) begleitet den Weg des Ausnahme-Ingenieurs in literarischen und musikalischen Bezügen, entfaltet ein Beziehungsdreieck zwischen Technik, Politik und Musik, spürt dem Faustischen in der Figur ihres Protagonisten nach. Dabei erzählen Woelk und Henning die Lebensgeschichte von Brauns in elf Bildern wie bei einem Countdown rückwärts. Die Ouvertüre der bislang unaufgeführt gebliebenen Oper stellt deren zwölftes Bild dar.